Die Corona-Pandemie hat, unter anderem durch die Kontaktbeschränkungen und verschärfte Hygienemaßnahmen, die Tätigkeit in der Sozialen Arbeit erheblich verändert. Nun liegen erste Trends einer Untersuchung zur Arbeitssituation in der Sozialen Arbeit während der Corona-Pandemie vor.
Um eine Momentaufnahme der Arbeitssituation der Beschäftigten in der Sozialen Arbeit in Deutschland während der Corona-Pandemie zu erhalten, wurde zwischen dem 07. und 15. April 2020 über Multiplikator*innen der Link zu einer Online-Befragung unter den Beschäftigten in der Sozialen Arbeit verteilt (Buschle & Meyer, 2020). Zum damaligen Zeitpunkt waren umfangreiche Kontakt- als auch Ausgangsbeschränkungen im gesamten Bundesgebiet in Kraft: So waren beispielsweise Hochschulen, Schulen und Kitas geschlossen, ebenso Freizeiteinrichtungen, Geschäfte und Einsatzstellen von Freiwilligendiensten. Für Krankenhäuser, Pflegeheime, Senioren- und Behinderteneinrichtungen galten besondere Schutzmaßnahmen. Weiterhin galten weitreichende Hygienevorschriften und Abstandsregeln (Mindestabstand von 1,5 Metern). Gleichwohl war bereits für den 16. April 2020 eine Diskussion über mögliche Lockerungen der Beschränkungen angekündigt.
Die Teilnehmenden an der nicht-repräsentativen Befragung (n = 1867) kommen aus den unterschiedlichsten Handlungsfeldern. Besonders stark sind Beschäftigte aus dem Bereich der Kinder- und Jugendbildung (z.B. KITAs, Schulsozialarbeit etc.) vertreten (zur genauen Verteilung siehe Abbildung 1), ebenso Teilnehmende der Handlungsfelder Hilfen zur Erziehung (v.a. Heimerziehung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Inobhutnahmestellen), Soziale Arbeit in Behörden (v.a. Allgemeiner Sozialer Dienst), Soziale Arbeit mit Menschen mit Behinderung, Qualifizierung für die Soziale Arbeit sowie in der Beratung.
Aus den Antworten der Teilnehmenden werden Modifikationen in der professionellen Praxis ersichtlich. Zwei Drittel der befragten Beschäftigten (n = 1663) bemängeln, dass sich die Kontaktaufnahme zu den Adressat*innen verändert hat, wobei die Problematik in den offenen Antworten (n = 964) verdeutlicht wird: der Kontakt von Angesicht zu Angesicht entspricht aus Sicht der Befragten nicht mehr dem notwendigen Normalmodus der Interaktion, der für eine angemessene Ausübung der Tätigkeit von Nöten sei. Über alle Handlungsfelder hinweg lag diese Form der Kontaktaufnahme nach Einschätzung der Befragten vor der Pandemie bei 35,5%, während der Pandemie bei 16,7% (Mehrfachnennungen waren an dieser Stelle möglich, siehe Buschle & Meyer 2020). Diese Entwicklung wird mehrheitlich scharf kritisiert – besonders deutlich von Teilnehmenden aus der Sozialen Arbeit in Behörden (ASD etc.), der Sozialen Arbeit mit Menschen mit Behinderung, der Wohnungsnotfallhilfe sowie der Arbeit in Beratungsstellen. Die Abnahme des persönlichen Kontakts sei eine deutliche Verschlechterung professioneller Standards und werde den betroffenen Menschen nicht gerecht. Wichtige Struktur- und Stützelemente des alltäglichen Lebens brächen im Zuge des Lockdowns weg und es wird von einer zunehmenden Verschärfung der Lebenssituation der bereits bekannten Adressat*innen ausgegangen. Einige Befragte (18,6%) berichten außerdem von früher beendeten Hilfemaßnahmen als es eigentlich üblich wäre (n = 1561).
Daneben können auch die verordneten Hygienemaßnahmen nur schwer eingehalten werden: Zwar bleiben knapp 60%, also 1082 der Einrichtungen, in denen die Befragten arbeiten, für Mitarbeitende und Adressat*innen geöffnet, dennoch kann der Sicherheitsabstand von 1,5 Metern nach Angaben von 61% der Befragten in den für Mitarbeitende und Adressat*innen geöffneten Einrichtungen (n = 1042) nicht eingehalten werden. Parallel wurden in 901 dieser Einrichtungen Hygienemaßnahmen angepasst, gleichzeitig fehlten in 322 Fällen Desinfektionsmittel und in 534 Fällen persönlich Schutzausrüstung wie bspw. Mundschutz (hier waren Mehrfachnennungen möglich).
Unabhängig von den Öffnung für Mitarbeitende und Adressat*innen wird von der Hälfte der Befragten angegeben, dass die empfohlene Distanz von 1,5 Metern in der Einrichtung nicht eingehalten werden kann (n = 1777), Schutzausrüstung fehlte zum damaligen Zeitpunkt bei insgesamt 70% der Befragten (n = 1607), insbesondere persönliche Schutzausrüstung in 874 Fällen und Desinfektionsmittel in 479 Fällen. In der Folge beschreiben die Befragten in den offenen Antworten (n = 410), dass einige Adressat*innen wegen dieser fehlenden Schutzmaßnahmen den Kontakt verweigern.
Die Adressat*innen der Sozialen Arbeit sind durch die Corona-Pandemie und ihre Folgen bereits hart getroffen. Auf deren Lebenspraxis hat der Wandel professioneller Standards daher unmittelbar kurz- wie langfristige Auswirkungen. Konsequenzen können nicht auffallende akute Kindeswohlgefährdungen wegen häuslicher Gewalt ebenso, wie grundsätzlich verschlechterte schulische Bildungschancen sein, weil es an der professionellen Gestaltung des Übergangs zwischen Kindertagesstätte und Grundschule mangelt. Die mit diesen Aspekten beispielhaft verbunden Nachwehen dieser Entwicklung werden in der Einschätzung der Befragten die Gesellschaft sowie den Sozialstaat langfristig treffen. So rechnet mit 55 % der Befragten über die Hälfte damit, dass das eigene Handlungsfeld nach der Pandemie stärker gefordert sein wird. Nur knapp 2 % sehen ein Zurückgehen der Anforderungen an das eigene Handlungsfeld (n = 1764).
Dabei sind die Wahrnehmungen zwischen den Handlungsfeldern heterogen (siehe Abbildung 2).
Aus bereits vorhandenen Untersuchungen zur Professionalität in der Sozialen Arbeit lässt sich argumentieren, dass fehlgeleitete professionelle Handlungen erheblich soziale Folgen mit entsprechenden Auswirkungen bei den Adressat*innen haben können. In der aktuellen Wirtschaftssituation sollten diese präventiv bearbeitet werden und nicht erst, wenn neue soziale Probleme entstanden oder bestehende sich verschärft haben. Bisher ist mit dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz Soziale Arbeit eher als Ort von Institutionen betrachtet worden, die es abzusichern gilt. Nun können Mitarbeiter*innen von Träger*innen, die unter diesen Schutzschirm geflüchtet sind als Erntehelfer*innen oder Regalpacker*innen im Supermarkt eingesetzt werden. Dass Soziale Arbeit immer und ganz besonders jetzt eine zentrale Funktion in der Gesellschaft einnimmt, ist von den politischen Verantwortlichen offenbar bisher nicht deutlich genug kommuniziert worden. Gesellschaftliche Wertschätzung in der aktuellen Situation empfinden nur 38 % der Befragten (n = 1539). Die Handlungsfelder Hilfen zur Erziehung, Kinder- und Jugendbildung, Arbeit mit Migrant*innen und Arbeit mit obdachlosen und/oder suchtkranken Menschen werden dabei zwar nach Angaben der Befragten überwiegend als systemrelevant eingestuft, gleichzeitig wird die gesellschaftliche Anerkennung aber als gering empfunden (Buschle & Meyer 2020). In den offenen Antworten des Fragebogens heben die Teilnehmenden (n = 410) hervor, dass die zum Teil durch die Bundesländer fehlende Anerkennung der eigenen Arbeit als systemrelevant, zu einer Doppelbelastung durch die zusätzlich notwendige Verantwortung für die Betreuung der eigenen Kinder neben der Arbeit führt. Hier wird aus Perspektive der Beschäftigten die gesellschaftliche und politische Geringschätzung der Sozialen Arbeit überdeutlich.
Für die Gesellschaft hat diese Auseinandersetzung mit der Situation in der Sozialen Arbeit eine extrem wichtige Funktion: Immerhin sind mit der Corona-Pandemie Fragen wie bspw. des Kinderschutzes, der Bildungsbenachteiligung und -gerechtigkeit, der (bildungs-)biografischen Anschlussfähigkeit, der Existenzsicherung, der Geschlechterfrage oder der Entlastungsmöglichkeit für berufstätige und alleinerziehende Eltern verbunden. Diese Aspekte treffen dabei zumeist ohnehin belastete Menschen, so dass sich deren vorhandene Problemlagen noch verstärken könnten oder sogar erst entwickeln.
Kontakt zu den Autor*innen der Studie:
Prof. Dr. Nikolaus Meyer
Hochschule Fulda
Fachbereich Sozialwesen
Leipziger Straße 123
36037 Fulda
nikolaus.meyer@sw.hs-fulda.de
Prof. Dr. Christina Buschle
IUBH Internationale Hochschule
Arbeitsbereich „Erwachsenenpädagogik“
Kaiserplatz 1
83435 Bad Reichenhall
c.buschle@iubh-fernstudium.de
Bundesfachgruppenleiterin / Dipl. Sozialpädagogin, Sozialarbeiterin, Diakonin
030/6956-2115
sozialearbeit@verdi.de