Warum sich das Kämpfen lohnt

06.06.2019

Wer etwas verändern will, muss das nicht alleine tun. Unsere Autorin weiß, wie man die Arbeitsbedingungen in erzieherischen Berufen verbessern kann. Sie zeigt, welche Kraft man als Mitglied einer Gewerkschaft hat.

ELKE ALSAGO

 

Was mich seit meiner Schulzeit umtreibt? Ich möchte etwas für Menschen bewegen und mich für eine bessere Gesellschaft einsetzen. Deshalb habe ich Sozialpädagogik studiert und bin Diakonin geworden. Und weil das Leben in Bewegung ist, sich mein Wissen und der Einblick in gesellschaftliche Zusammenhänge verändern, hat sich auch meine berufliche Tätigkeit immer wieder verändert. Ich habe in Hamburg zunächst als stellvertretende Leiterin, später als Leiterin, einer Kita gearbeitet. Dann war ich Abteilungsleiterin für Kinder- und Jugendhilfe bei der Arbeiterwohlfahrt in Osnabrück und Fachberaterin beim evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Stade. Für mich waren das wichtige Stationen, wo ich sozialpädagogische Arbeit immer mit fachpolitischem Engagement verbinden konnte. Mit diesen Erfahrungen wurde ich Studiengangleiterin an der Evangelischen Hochschule in Hamburg und bin nun Referentin des Bundesvorstandes der Gewerkschaft Verdi (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft).

Parallel promovierte ich an der Leuphana Universität in Lüneburg über das Thema „Fachberatung von Kindertageseinrichtungen“.  Ich habe an vielen Stellen Einblick in sehr unterschiedliche Lebens- und Arbeitsverhältnisse bekommen. Heute ist es mir wichtiger denn je, Problemlagen in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen. Individuelle Lebenslagen sind immer eingebunden in gesellschaftliche Situationen, die durch Menschen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gestaltet werden. Wer also grundsätzlich und langfristig auch Strukturen verändern möchte, muss diese Komplexität berücksichtigen und in vielen Bereichen und auf vielen Ebenen arbeiten. Diese Möglichkeit habe ich bei der Gewerkschaft Verdi.

Eine Gewerkschaft ist ein Ort gelebter Solidarität. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gründeten Arbeiterinnen und Arbeiter die ersten Gewerkschaften als Gegenüber zum Arbeitgeber, mit dem Ziel, die Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern. Nicht jeder sollte für sich kämpfen, sondern gemeinsam sollte für alle etwas erreicht werden. Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit sind heute noch die handlungsleitenden Werte. Gewerkschaftliche Arbeit ist dreischrittig zu verstehen: Meinungsbildung – Organisation – Aktion. Das heißt, miteinander reden, Problembereiche identifizieren und sich eine Meinung bilden, die organisiert vertreten werden soll, sind zentral für die Möglichkeit, sich zu solidarisieren, gemeinsam Aktionen zu planen und zu adressieren. Nur so besteht die Chance, über das Beklagen von Missständen hinaus aktiv ins Handeln zu kommen. Verdi ist die größte Gewerkschaft für Beschäftigte in Kindertageseinrichtungen und in der sozialen Arbeit. Hier gibt es vielfältige Möglichkeiten, mitzureden und sich zu engagieren. In den Bezirken und Landesbezirken gibt es Arbeitsgruppen für Beschäftigte aus Kitas, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oder Beschäftigte in Schulen. In großen kommunalen Betrieben oder auch bei freien Trägern gibt es Betriebsgruppen, die die betriebliche Mitbestimmung der Personalräte unterstützen. Welche Gruppen es vor Ort gibt, erfahren Sie im zuständigen Landesbezirk. In den Gruppen und Gremien werden die Themen diskutiert, die den Beschäftigten zur Verbesserung ihrer Arbeitssituation, der Bildungs- und Betreuung der Kinder und der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse wichtig sind. Diese sind abhängig von der jeweiligen Situation vor Ort. Gemeinsam werden Strategien entwickelt, um Einfluss zu nehmen und politisch etwas zu erreichen. Die Strategien und Aktionen werden, je nach Thema, unterschiedlich adressiert. Personalschlüssel, Zeitressourcen für Leitungen und Öffnungszeiten sind zum Beispiel Themen, die fachpolitisch an die Länder oder die Kommunen adressiert werden müssen. Bei bundesweiten Gesetzgebungsverfahren, wie zum Beispiel beim sogenannten Gute-Kita-Gesetz, oder bei Bundesprojektförderungen, wie zum Beispiel den Sprach-Kitas, sind das Familienministerium, Bundestag und Bundesrat das Gegenüber.

 

Kampf gegen Sozialabbau

 Im Bereich der Tarifpolitik sind die Einflussmöglichkeiten und die Verantwortung der Gewerkschaften als Sozialpartner gesetzlich geregelt. Löhne und Gehälter, Arbeitszeiten, Urlaub, Abschluss oder auch Beendigung von Arbeitsverhältnissen und Gesundheitsschutz sind Gegenstand der Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern. So entstehen dann Tarifverträge als gesetzesähnliche und einklagbare Normen. Innerhalb der Gewerkschaft Verdi sind die Beschäftigten in Kitas in drei Fachbereichen organisiert: Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirche (Fachbereich 3), Länder (Fachbereich 6) und Gemeinden (Fachbereich 7), je nachdem, mit welchem Träger der Arbeitsvertrag geschlossen wurde.

Die sogenannte Leitwährung ist für die Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), der für die kommunalen Träger Gültigkeit hat. Hier verhandeln die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) als Spitzenverband der kommunalen Arbeitgeberverbände, das Bundesinnenministerium und die Gewerkschaften (Verdi, GEW, GdP, IG BAU und DBB) miteinander. ver.di als branchenführende Gewerkschaft übernimmt die Verhandlungsführung für die Gewerkschaften. Verdi hat den Anspruch, die Bedingungen, die im TVöD ausgehandelt werden, auch in die anderen Bereiche zu übertragen. Dazu gehören der öffentliche Dienst der Länder, freie und kirchliche Träger.

 

Der TVöD ist 2005 in langjährigen Verhandlungen als Vereinheitlichung des Tarifwerks für Arbeiter, Angestellte und Pflegebeschäftigte im öffentliche Dienst entstanden und bedeutete eine Abkehr von der dienstalters- und familienbezogenen Bezahlung zu einer erfahrungs- und leistungsorientierten Vergütung. Hintergrund war das Interesse der Arbeitgeber in Zeiten von geringem wirtschaftlichen Wachstum, wachsender Arbeitslosigkeit und dem politischen Willen zum Sozialabbau (Agenda 2010), den bis dahin gültigen Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) als Flächentarifvertrag aufzulösen und damit die Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst freier und regionaler gestalten zu können. Dieser Angriff der Arbeitgeber auf das Tarifsystem hat die Gewerkschaften einige Zugeständnisse gekostet, um einen verbindlichen Flächentarifvertrag zu verhandeln. Die Überleitung vom BAT in den TVöD gestaltete sich zum Teil schwierig. Besonders der Fachschulabschluss der Erzieherinnen und Erzieher wurde nicht entsprechend des Qualifikationsniveaus anerkannt. Für die pädagogischen Beschäftigten in den Kitas wurde durch die Streiks im Jahr 2009 eine eigene Einkommenstabelle (TVöD-SuE Sozial- und Erziehungsdienst) mit sechzehn Entgeltgruppen S 3 bis S 8 und Tabellenentgelten von 1 750 Euro bis 4 525 Euro erwirkt. Diese enthält Abweichungen von der Standard-Gehaltstabelle und versucht, die besonderen Bedingungen des Sozial- und Erziehungsdienstes zu erfassen. Dieser Vertrag hatte eine fünfjährige Laufzeit und wurde 2014 von Verdi gekündigt.

 

Warum gestreikt wird

Im Jahr 2015 gelang es durch längere Erzwingungsstreiks, an denen sich vor allem die Beschäftigten der Kitas beteiligten, die Gehälter weiter anzuheben. Insbesondere für die Leiterinnen und Leiter konnten Erfolge verzeichnet werden. Ab vierzig Kindern müssen seitdem stellvertretende Leiterinnen und Leiter bestellt werden. Kita-Leiterinnen und Kita-Leiter und ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter wurden deutlich höhergruppiert. Die Eingruppierungen von Kita-Leitungen bewegen sich seitdem zwischen S 9 und S 17. Die Entgelterhöhungen lagen je nach Größe der Einrichtung zwischen 1,1 und 15,4 Prozent. Der Tarifabschluss hat eine Mindestlaufzeit von fünf Jahren und ist gültig bis 30. Juni 2020. Insgesamt blieb das erreichte Ergebnis jedoch hinter den Erwartungen der Kolleginnen und Kollegen zurück. Vereinbart wurde mit den Arbeitgebern die gründliche Evaluation im Juli 2019, um zu bewerten, ob diese Regelungen einer tatsächlichen Aufwertung der sozialen Berufe nutzen (vgl. Pieper 2015). Die Tarifrunden 2008 und 2015 waren ein eindrücklicher Beleg für gewerkschaftliche Solidarität. Müllwerkerinnen und Müllwerker, Verwaltungsangestellte, Erzieherinnen und Erzieher kämpften gemeinsam. Nun beginnen die Vorbereitungen auf die Tarifrunde im Jahr 2020. Derzeit wird mit der Befragung der Mitglieder, insbesondere auf Personalversammlungen in den kommunalen Betrieben, begonnen. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob die 2015 vereinbarten Regelungen zu einer Aufwertung der Tätigkeit der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst geführt haben. Auch zum Thema stellvertretende Leiterinnen und Leiter sowie Gesundheitsschutz werden die Mitglieder befragt. Ergebnisse dieser Befragungen werden bundesweit zusammengetragen und ausgewertet. Dann finden erste Sondierungsgespräche mit den Arbeitgebern statt. Im Herbst beginnt die Forderungsdiskussion innerhalb von Verdi zum Tarifvertrag TVöD-SuE. Die Bundestarifkommission (BTK) stimmt einen Forderungsbeschluss ab und hat dann die Möglichkeit, Mitte des nächsten Jahres den bestehenden Tarifvertrag zu kündigen und in die Verhandlungen mit der VKA einzutreten. Vollkommen klar ist, dass die Aufwertung der sozialen Berufe weitergehen muss. Der sogenannte Gender Pay Gap, also der geschlechtsspezifische Lohnunterschied, wird gerade durch die sozialen Berufen besonders deutlich. Nach wie vor arbeiten in diesen Berufen, je nach Arbeitsfeld, bis zu neunzig Prozent Frauen. Trotz gleichwertigem Ausbildungsniveau werden sie erheblich schlechter bezahlt als Beschäftigte in den typischen Männerberufen. Auch in dieser Tarifrunde werden wir uns für eine – endlich – angemessene Bewertung der Arbeit in Kitas, den sozialen Diensten und anderen Dienstleistungen im Sozial- und Erziehungsdienst einsetzen. Wie das genau aussehen wird, entscheiden die Mitglieder von Verdi. Forderungen und Strategie werden gemeinsam diskutiert und entwickelt. Ob es wieder zu Streiks kommen wird, entscheiden ebenfalls die Mitglieder während der Verhandlungen. Wenn fünfundsiebzig Prozent der Mitglieder im Tarifbereich dafür stimmen, kommt es zum Streik. Neben den beschriebenen tarifpolitischen Auseinandersetzungen wird Verdi sich weiter einsetzen für

  1. das gesellschaftliche Ansehen der Sozial- und Erziehungsberufe;
  2. die vergütete Ausbildung zur Erzieherin und zum Erzieher und gute Ausbildungsbedingungen, bei Erhalt des Qualifikationsniveaus entsprechend der Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz;
  3. gute Rahmenbedingungen in den Einrichtungen (Personalschlüssel, Leitungsressourcen, Fachberatung, Fortbildung usw.).

Die Gewerkschaft ver.di wird sich das und vieles mehr einsetzen, dass sich die Mitglieder gemeinsam vornehmen. Denn eines ist klar: Der Erfolg einer Gewerkschaft ist abhängig von dem Engagement ihrer Mitglieder.

 
Streik - Was sie wissen sollten

LITERATUR

PIEPER, WOLFGANG; WEGNER, ALEXANDER (2015): Aufwertung muss sein – von der gewerkschaftlichen Forderung zum gesellschaftlichen Konsens. In: WSI Mitteilungen 8/2015. Online unter: www.boeckler.de/wsimit_2015_08_pieper.pdf. Entnommen am 18.03.2019.

Artikel erschienen in der TPS Theorie und Praxis in der Sozialpädagogik 5/2019

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages