Der Mangel an Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe ist seit Jahren bekannt. Für präventive Arbeit mit den Familien bleibt heute kaum noch Zeit. Unser Alltag besteht zunehmend nur aus akuten Kinderschutzfällen und den dazugehörigen Aktenbergen. Zudem kommt es immer öfter vor, dass wir keine Unterbringung für die schutzbedürftigen Kinder finden, da auch die Kindernotdienste am Limit sind (vgl. Meyer, Alsago 2023).
Steigende Fallzahlen und wachsende Anforderungen führen neben dem Generationswechsel dazu, dass immer mehr von uns überlastungsbedingt ausfallen oder den Job wechseln. Durch die hohe Fluktuation verlieren wir in den Teams der Jugendämter Erfahrungswissen. Neue Kolleg*innen werden nicht mehr angemessen umfänglich eingearbeitet, sondern nach dem Motto „learning-by-doing“ sich selbst überlassen. Viele Kolleg*innen entscheiden sich in Teilzeit zu arbeiten, da sie den Druck in Vollzeit nicht mehr aushalten. Andere verlassen die Sozialen Dienste des Jugendamtes schnell wieder.
Es ist an der Zeit, gemeinsam aktiv zu werden und für unsere Forderungen laut und deutlich einzustehen. Aus den letzten Jahren haben wir gelernt: Die Politik und Verwaltung werden es nicht richten. Wir müssen die Zukunft der Jugendhilfe selbst in die Hand nehmen.
Zu diesem Zweck planen wir gemeinsame Aktionen und erarbeiten Handlungshilfen, wie Ihr euch mit euren Kolleg*innen in euren Einrichtungen aktiv für Veränderungen einsetzen könnt. Damit schützen wir die Kinder- und Jugendlichen, uns als Fachkräfte und bauen gleichzeitig politischen Druck auf.
Ihr wollt mitmachen? Meldet euch bei eurer ver.di vor Ort
Seit 2021 ist im achten Sozialgesetzbuch in § 79 geregelt: "Zur Planung und Bereitstellung einer bedarfsgerechten Personalausstattung ist ein Verfahren zur Personalbemessung zu nutzen.” Doch wird das auch flächendeckend umgesetzt? Und was ist eigentlich “bedarfsgerecht”? Wir wollen mit euch diskutieren, wie ein geeignetes Verfahren zur Personalbemessung aussehen kann und wie wir uns gemeinsam für eine bessere Personalplanung in den Allgemeinen Sozialen Diensten einsetzen können.
Dazu haben wir Expert*innen aus der Praxis eingeladen: Monika Stark-Murgia wird uns vom Personalbemessungsverfahren der Stadt Stuttgart berichten, durch das nun das Fehlen von mehr als 100 Stellen im ASD offenbart wurde. Philipp Heinze wird uns aufzeigen, wie Beschäftigte im Sozialreferat München ein Personalbemessungsverfahren durchsetzen konnten.
Wann? Am Donnerstag 5. Dezember 2024 von 17:00 bis 18:30 Uhr
Anmeldung: Hier könnt ihr euch anmelden. Der Einwahllink wird am Tag der Veranstaltung versendet.
Eine zu geringe Personalbemessung, hohe Fallzahlen, steigende Arbeitsbelastung und der Fachkräftemangel stellen uns in den sozialen Diensten vor große Herausforderungen. Diese Missstände wirken sich nicht nur auf unsere Arbeitsqualität aus, sondern können das Wohl der uns anvertrauten Menschen gefährden. Mit unserer Handlungshilfe, die von Sozialarbeiter*innen für Sozialarbeiter*innen entwickelt wurde, wollen wir einen Beitrag dazu leisten, den Problemen konstruktiv zu begegnen. Von rechtlichen Grundlagen über die Nutzung von Gefährdungsanzeigen bis hin zur Stärkung unserer beruflichen Interessen durch Dialog und klare Grenzziehungen: Wir wollen konkrete Lösungen entwickeln und damit Anstöße geben, um unsere Arbeitsbedingungen vor Ort – direkt in jedem Amt – zu verbessern.
Die Situation in der Jugendhilfe ist dramatisch. In den letzten Jahren steigt die Zahl der Fälle, bei denen die Jugendämter eingreifen müssen kontinuierlich (vgl. Statistisches Bundesamt 2022). Insbesondere seit der Corona-Krise brauchen immer mehr Familien Unterstützung. Kinder und Jugendliche sind angesichts der Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit gerade jetzt auf die Jugendhilfe angewiesen (vgl. Bundesregierung 2023). Gleichzeitig sind die Allgemeinen Sozialen Dienste (vgl. Beckmann 2018), Inobhutnahmestellen und Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung geprägt durch schlechte Personalschlüssel, starke Fluktuation in den Teams, offene Stellen und Überlastung der Fachkräfte (vgl. Alsago & Meyer). Den Bedarfen der Kinder, Jugendlichen und Familien kann nicht mehr gerecht entsprochen werden.
Uns erreichen immer öfter Brandbriefe und Notmeldungen aus den Jugendämtern und Jugendnotdiensten, die aufgrund von Personalmangel und Arbeitsüberlastung ihren gesetzlichen Pflichten und pädagogischen Ansprüchen nicht mehr ausreichend nachkommen können. Um das Problem sichtbar zu machen, sammeln wir ihre Briefe hier.
Quellen:
Alsago, Elke; Meyer, Nikolaus (2023): Prekäre Professionalität. Soziale Arbeit und die Coronapandemie. https://shop.budrich.de/produkt/prekaere-professionalitaet/
Beckmann, Kathinka; u.a.(2018): Berufliche Realität im Jugendamt: der ASD in strukturellen Zwängen. Ettenheim.
Bundesregierung (08.02.2023): Interministerielle Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ Abschlussbericht. Bonn/Berlin.
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Kindergesundheit/Abschlussbericht_IMA_Kindergesundheit.pdf (zuletzt aufgerufen am 06.09.2023, 10:12 Uhr)
Statistisches Bundesamt (2022): Kinderschutz: Kindeswohlgefährdungen bleiben auch 2021 auf hohem Niveau. Pressemitteilung Nr. 340 vom 11. August 2022
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/08/PD22_340_225.html (zuletzt aufgerufen am 16.08.2023, 11:51 Uhr)
Bundesfachgruppenleiterin / Dipl. Sozialpädagogin, Sozialarbeiterin, Diakonin
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